Realität und Theorie

 

 

 

Was ist Rassismus?

 

Gibt es Menschen-Rassen?

–     Soll man besser von Völkern, Ethnien oder Kulturen sprechen?

 

       Volk

       Ethnie

       Kultur

 

Ist Rassismus der richtige Begriff?

       Rassismus-Theorien

       Gibt es Rassismus gegenüber Ausländern?

 

Kulturalistischer Rassismus

       Kulturelle Differenz

       Bewertung "kultureller" Zugehörigkeit

 

Rassistische Gewalt
 

Literatur

 



 

 

 

Was ist Rassismus?

 

 

 

Ideologie und soziale Realität.

 

 

 

Es gibt unendlich viele Unterschiede zwischen Menschen. Doch welche davon sind wichtig und was bedeuten sie? Auf solche Fragen gibt rassistische Ideologie stets falsche Antworten.

 

Rassismus basiert auf der Behauptung, die Menschheit sei von Natur aus und unwiderruflich in verschiedene Kategorien unterteilt. Die voneinander unterschiedenen Menschen-Kategorien gelten als miteinander konkurrierende, ‚natürliche‘, sich biologisch fortpflanzende Gemeinschaften.

 

Jeder dieser Kategorien werden bestimmte Eigenschaften zugeschrieben: Körperliche Merkmale, Charaktereigenschaften, Talente, intellektuelle, kulturelle und soziale Fähigkeiten.

 

Äußerlichkeiten, wie Haut- und Haarfarbe, aber auch Sprache und Kleidung, gelten als Kennzeichen der einzelnen Kategorien.

 

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Auf diese Weise erhalten einige wenige der vielen menschlichen Eigenschaften die Bedeutung, die Kategoriezugehörigkeit eines Menschen anzuzeigen. Innerhalb rassistischer Ideologie bestimmt die Kategorie, der ein Mensch vermeintlich angehört, welche Eigenschaften und Fähigkeiten er oder sie besitzt.

 

Diese nach willkürlich gewählten Kriterien unterschiedenen Menschenkategorien befinden sich nach rassistischer Auffassung in einem unablässigen Konkurrenzkampf miteinander. Menschen, die einer ‚anderen‘ Kategorie angehören, stellen demnach mindestens Gegner, wenn nicht sogar Feinde dar. Folglich geht von ‚ihnen‘ eine unkalkulierbare Gefahr für ‚uns‘ aus. Deshalb scheint es notwendig, sich von den ‚anderen‘ abzugrenzen, um ‚uns‘ zu schützen.

 

Die Abwehr der angeblich von den ‚Anderen’ ausgehenden Bedrohung kann ebenso rassistische Gewalt legitimeren wie politische, rechtliche, ökonomische und soziale Diskriminierung.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Gibt es Menschen-Rassen?

 

 

 

Nein.

 

 

 

Der Begriff ‚Rasse‘ ist, trotz aller Bemühungen ihn zu definieren, unbestimmt und zweifelhaft geblieben. Er lässt nahezu jede Einteilung, Unterscheidung und Klassifikation zu.

 

Welche Forschungsmethode auch immer angewandt wurde, sie führte nie zu eindeutigen Ergebnissen in der Bestimmung und Abgrenzung menschlicher Rassen. Mit dem Begriff ‚Rasse’ wurde stets operiert, „ohne ihn definitorisch klar umreißen zu können“.

 

Menschenrassen werden immer nur dann vorgefunden, wenn ihre Existenz bereits vorausgesetzt war. „Welche Menschengruppe als ‚Rasse‘ zu bezeichnen sei und welche nicht“ ist ungeklärt (Kiefer, 1991, 95).

 

Und das wird auch so bleiben, denn: Die Vielfalt der menschlichen Eigenschaften, ist so groß, dass letztlich jedes Individuum eine Rasse für sich bilden könnte (Vgl. Guillaumin, 1992, 77ff.). „Wenn man nur etwa zwanzig der erblichen Merkmale nimmt – ihre Anzahl ist unendlich viel größer – die verschiedenen Kombinationen, die sie miteinander bilden können, beinahe eine Million erreichen, und daraus müsste man auf eine Million von Menschenrassen schließen“ (Poliakov u.a., 1992, 17).

 

Darstellungen von Menschenrassen spiegeln keine ‚naturgegebenen‘ Fakten wieder und lassen sich dementsprechend beliebig gestalten. Das zeigt sich an den extrem voneinander abweichenden Klassifizierungssystemen. Einige unterscheiden nur zwischen einer ‚weißen’, ‚gelben’ und ‚schwarzen Rasse’, während andere allein in Mitteleuropa ‚nordwesteuropäische’, ‚nordosteuropäische’ und ‚alpine Rassen’ ausmachen. So schwankt die Anzahl der als nachweisbar betrachteten ‚Menschenrassen‘ je nach Theorie von drei bis zu über zweihundert (Poliakov u.a., 1992, 15ff.).

 

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Menschenrassen sind keine biologische, sondern eine soziale Tatsache. Menschen werden täglich bei vielerlei Gelegenheiten bestimmten Kategorien zugewiesen und anschließend nach ihrer angeblichen Kategoriezugehörigkeit bewertet und behandelt. In diesem Vorgang verwandeln sich äußerliche Merkmale in ‚Rassenmerkmale’.

 

Erst dadurch, dass Haut, Haar, Kleidung oder Sprache als sichtbare Kennzeichen der Kategoriezugehörigkeit betrachtet werden, bekommen sie diese Bedeutung. Dann scheint diese Äußerlichkeit die kategoriespezifischen Eignungen und Fähigkeiten, die Wesensart und Wertigkeit des Einzelnen kenntlich zu machen.

 

Eine äußerliche Eigenschaft erhält plötzlich eine ungeheuere Wichtigkeit für die Beurteilung eines Menschen. Vorausgesetzt wird die unweigerliche Erblichkeit des Merkmals, denn damit scheint auch die Kategoriezugehörigkeit angeboren. Die Kategorisierung verwandelt sich in ein unabwendbares, scheinbar naturgegebenes Schicksal.

 

Aus ideologischen Annahmen und Behauptungen wird gesellschaftliche Wirklichkeit (vgl. Morgenstern, 2001, S. 10f.).

  

 

 

 

 

 

  

 

Soll man besser von Völkern, Ethnien oder Kulturen sprechen? 

 

 

Die Begriffe Volk, Ethnie oder Kultur hören sich zeitgemäßer an, als das Wort Rasse. Das heißt aber nicht unbedingt, dass sie richtiger sind.

 

Auch mit der Beschreibung verschiedener Völker, Ethnien oder Kulturen kann lediglich die Unterteilung der Menschheit in konkurrierende, scheinbar naturgegebene biologische Gemeinschaften gemeint sein. Dahinter steht rassistische Ideologie.

Volk

Dem Begriff Volk wird im deutschen Sprachgebrauch eine andere Bedeutung zugeschrieben, als in den meisten übrigen Sprachen. Im Laufe historischer Prozesse erhielt das Wort Volk eine ähnliche Bedeutung, wie in anderen Sprachen der Begriff Rasse.

In den meisten anderen Sprachen bezeichnet Volk eine historisch gewachsene, kulturelle Gemeinschaft, mit ähnlichen Traditionen und gleicher Sprache. Im Deutschen wird einem Volk stillschweigend zugeschrieben, es handele sich um eine deutlich von anderen abgegrenzt lebende Menschengruppe, die sich seit Anbeginn der Zeiten untereinander fortpflanzt.

Einem Volk wird eine gemeinsame Abstammung zugeschrieben. Sie sei Grundlage der Lebensweise, die ein Volk teile. Aus dieser Gemeinsamkeit gingen wiederum gemeinsame und kennzeichnende Eigenschaften und Fähigkeiten eines Volkes hervor: Pflichtbewusstsein oder Sorglosigkeit, Gelassenheit oder Temperament, Lebensfreude oder Schwermut.

 

Eine solche Abstammungsgemeinschaft teile letztlich ein gemeinsames Schicksal und daraus ergebe eine natürliche Loyalität zu einander. Demnach basiert die nationale Gemeinschaft auf einer ebenso mythischen wie biologisch verankerten vermeintlichen Blutsverwandtschaft.

 

Folgt man dieser Auffassung sind ‚Ausländer’ nicht einfach Menschen ohne deutschen Pass, sie gehören einer fremden, konkurrierenden Abstammungs- und Schicksalsgemeinschaft an. Und dies entspricht dem Bedeutungsgehalt des Begriffs Rasse in anderen Sprachen.

Ethnie

Der Begriff Ethnie wurde vom griechischen Wort ‚ethnos‘ abgeleitet. Im Unterschied zu ‚genos‘, das verwandtschaftlich organisierte Gruppen bezeichnet, bringt man ‚ethnos‘ eher mit kulturellen Gemeinsamkeiten in Verbindung.

Als Ethnie wird im Allgemeinen eine Gruppe von Menschen bezeichnet, die im Laufe geschichtlicher Prozesse eine Gemeinschaft gebildet hat. Diese Gemeinschaften können Sprache, Tradition, Religion, Mythologie oder andere Aspekte der Lebensweise teilen.

Ein entscheidendes Merkmal einer Ethnie ist, dass die Menschen, die zu ihr gehören, an die Existenz dieser Gruppe glauben. Tun sie das nicht mehr, hört diese Ethnie auf zu existieren. Es handelt sich also keineswegs um eine unveränderliche und ursprüngliche Gemeinschaft, die es immer schon gegeben habe und die es immer geben werde.

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Im deutschen Sprachgebrauch wird der Begriff Ethnie häufig fälschlicherweise nahezu synonym mit dem auf Abstammung verweisenden Begriff Volk verwendet. Besonders problematisch wird diese Auffassung von Ethnien vor allem im Zusammenhang mit sogenannten „ethnischen“ Konflikten.

„Ethnische“ Konflikte

Wenn Ethnien als naturgegebene organische Einheiten betrachtet werden, suggeriert dies, es handele sich bei „ethnischen“ Konflikten um eine unvermeidliche Abstoßungsreaktion zwischen verschiedenen und miteinander unverträglichen Menschenkategorien. „Ethnischen“ Konflikten wird somit eine scheinbar natürliche Zwangsläufigkeit zugeschrieben.

Ethnische Unterschiede bieten keinen Anlass für Konflikte. Sie können aber benutzt werden, um politische oder wirtschaftliche Interessen zu kaschieren oder zu legitimieren. Kleine Interessengruppen können viele Menschen für ihre Vorhaben mobilisieren, wenn es ihnen gelingt, die Mitglieder ihrer Ethnie davon zu überzeugen, dass es um ein gemeinsames Ziel ginge.

 

Mit der Begründung, die eigene Gruppe werde unterdrückt oder die andere Gruppe sei für die Ausübung von Macht und Einfluss nicht geeignet, kann ein Konflikt in dem es um ganz konkrete materielle Interessen geht, ethnisiert werden. 

Kultur

Auch der Begriff Kultur kann naturalisiert werden.

In den siebziger Jahren begannen ausgewiesene Kulturwissenschaftler und Ethnologen, angesichts globaler Wanderungsbewegungen, der Öffnung der Märkte und der Ausbreitung US-amerikanischer Kultur, vor drohenden Kulturkonflikten zu warnen. Sie prophezeiten, dass es zwischen den verschiedenen Kulturen zu gravierenden Konflikten kommen werde, wenn die räumliche Trennung zwischen ihnen aufgehoben würde.

Die Furcht vor „Kulturkonflikten“ basiert auf einer sehr speziellen Auffassung von „Kultur“. Nach Levi-Strauss ist Kultur nicht etwas, dass sich Menschen aneignen, dass die mitbestimmen und verändern können. Kultur bilde die „wahrhaft ‚natürliche Umwelt’ des Menschen“, „gleichsam die Atmosphäre“, „ohne die sein historischer Atem nicht mögliche wäre“. Durch ihre kulturelle Identität würden „Individuen und Gruppen a priori in eine Ursprungsgeschichte, eine Genealogie“ eingeschlossen, die „ein unveränderliches und unberührbares Bestimmtsein durch den Ursprung“ beinhaltet (Balibar/Wallerstein, 1990, 28ff.).

Der Mensch sei ohne seine ererbte Kultur nicht überlebensfähig. Bei der Konfrontation mit anderen Kulturen müsse er folglich darum kämpfen, dass seine Kultur unverändert erhalten bliebe. Kulturkonflikten wird so eine scheinbar unabänderliche Zwangsläufigkeit unterstellt.

Der Begriff Kultur erhielt mit dieser Definition im Grunde die gleiche mystische und naturalisierende Bedeutung wie das Wort Volk.

  

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Ist Rassismus der richtige Begriff?

Rassismus, Ausländerfeindlichkeit, Fremdenangst, Xenophobie?
Welcher Begriff ist richtig?

Die Begriffe Ausländer- oder Fremdenfeindlichkeit, Fremdenangst oder Xenophobie heben die individuellen psychologischen Aspekte der Ablehnung und Feindseligkeit gegenüber anderen hervor. Der Begriff Rassismus bezieht sich vor allem auf die politischen, ökonomischen und sozialen Seiten von Ausgrenzung, Diskriminierung oder Verfolgung von Menschengruppen. (vgl. Morgenstern, 2002, Teil1).

 

In der Bundesrepublik Deutschland galt der Begriff Rassismus, angewendet auf aktuelles gesellschaftliches Geschehen, lange als unangebracht. Der Begriff sollte nur im Bezug auf die Geschichte verwendet werden, auf die im Nationalsozialismus staatlich organisierte und industriell betriebene Vernichtung von Millionen Menschenleben.

 

Eine andere Benutzung des Begriffs, so lautete eine Begründung, stelle die Singularität des Holocaust in Frage. So wurde die Gültigkeit des Begriffs Rassismus auf die Jahre zwischen 1933 und 1945 beschränkt. Unterstützt wurde auf diese Weise die These von der „Stunde Null“, vom vollkommenen weltanschaulichen Neuanfang der Deutschen nach dem Zusammenbruch des ‚Dritten Reiches‘. Die Kategorien, Bilder und Bewertungen, die während des Nationalsozialismus Allgemeingut gewesen waren, sollten im Nachkriegsdeutschland vollständig verschwunden sein.

 

Um dies zu unterstreichen wurde auch der Begriff ‚Rasse‘ aus dem offiziellen Sprachgebrauch verbannt. Bis heute taucht dieser Begriff öffentlich in der Bundesrepublik kaum auf. Dies hielt man wiederum für einen Beleg dafür, dass es in der Bundesrepublik keinen Rassismus gebe.

 

Erst Ende der achtziger Jahre begann in der Bundesrepublik eine Diskussion darüber, ob der Begriff Rassismus nicht doch angemessener sei, als Begriffe wie Ausländer- oder Fremdenfeindlichkeit. Zur Klärung dieser Frage wurden Texte und Theorien vor allem britischer und französischer AutorInnen herangezogen, die die alltäglich soziale und auf die strukturelle Diskriminierung von Einwanderern in ihren Gesellschaften analysierten (z.B. Hall, Miles, Balibar, Silvermann).

 

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Auf dieser Grundlage werden seither theoretische und praktische Ansätze entwickelt, die sich mit der Geschichte, aber vor allem mit der Gegenwart von Rassismus in Deutschland befassen.

Rassismus-Theorien

Rassismus-Theorien definieren Rassismus als Ideologie, die zugleich Teil der gesellschaftlichen Realität ist.

Diese Theorien fragen, welchen wirtschaftlichen, sozialen oder machtpolitischen Interessen die rassistische Einteilung von Menschen in verschiedene, miteinander konkurrierende Kategorien nützt.

 

Untersucht wird dabei, wie rassistische Ideologie von bestimmten gesellschaftlichen Gruppen eingesetzt wird, um politische oder ökonomische Machtpositionen zu erringen und zu erhalten. Daneben gilt die Aufmerksamkeit jenen, die diese Ideologie in ihrem Alltag benutzen und die durch sie legitimierte Ungerechtigkeit akzeptieren.

 

 

     
 

Gibt es Rassismus gegenüber Ausländern?

In der bundesdeutschen Öffentlichkeit galt lange als ausgeschlossen, dass die Ausgrenzung, Diffamierung und Diskriminierung von Ausländern etwas mit Rassismus zu tun haben könnte.

 

Andernorts beobachteten Rassismus- und MigrationsforscherInnen, wie Einwanderer zu einer anderen, minderwertigen oder gefährlichen Kategorie Mensch erklärt wurden. In der Bundesrepublik gab es jedoch lange Jahre keine Einwanderer. Ausländer, so wurde immer wieder offiziell behauptet, seien keine Einwanderer, weil sie früher oder später in ihre Herkunftsländer zurückgehen würden. Diese Behauptung geriet erst in Zweifel, als klar wurde, dass ein Grossteil der sogenannten Ausländer in der Bundesrepublik geboren war. Häufig traf dies schon auf deren Eltern zu.

 

Die meisten Ausländer in der Bundesrepublik sind in Wirklichkeit Einwanderer. Bei der alltäglichen soziale, ökonomische und politische Ausgrenzung, Diskriminierung und Diffamierung handelt es sich eindeutig um eine Form von Rassismus (vgl. Morgenstern, 2002,Teil 3).

Ausländerfeindlichkeit

Der Begriff Ausländerfeindlichkeit entstand im Laufe der siebziger Jahre. Er wurde benutzt, um die damals zunehmenden alltäglichen Diffamierungen und gewalttätige Angriffe zu bezeichnen. Auch galten bestimmte Aspekte rechtsradikaler Propaganda galten als ausländerfeindlich.

 

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Das Wort Ausländerfeindlichkeit war stets mit der Auffassung verbunden, es handele sich nur um gelegentliche bedauerliche Beeinträchtigungen des sozialen Zusammenlebens. Mit Rassismus habe dies nicht das geringste zu tun.

 

Wie Fremdenfeindlichkeit bezieht sich der Begriff Ausländerfeindlichkeit nicht auf institutionalisierte Benachteiligung, sondern lediglich auf eher unwillkürliche individuelle Reaktionen. ‚Ausländerfeindlichkeit‘ besagt aber auch, Abwehr und Aggression hätten wesentlich mit der Staatsangehörigkeit der Menschen zu tun, gegen die sie sich richten.

 

Wer jedoch auf der Strasse oder im Café als Ausländer eingestuft und behandelt wird, entscheidet sich allein am äußerlichen Anschein.

 

Deutsche Staatsbürger können im Alltag durchaus als Ausländer eingestuft und deshalb angegriffen werden. Umgekehrt treffen nicht alle Ausländer auf die gleiche Reaktion. Hellhäutige Menschen scheinen der Ausländerfeindlichkeit in wesentlich geringerem Maß ausgesetzt zu sein, als dunkelhäutige (Kalpaka u. Räthzel, 1990, 12).

 

Nicht die Staatsbürgerschaft ist der Auslöser für den Ausbruch von Feindlichkeit. Es ist die äußerliche Abweichung vom Bild des Deutsch-Seins, dass die meisten Deutschen mit sich herumtragen. Diese Abweichung, dieses anscheinende Nicht-Deutsch-Sein wird zum Problem, bevor derjenige überhaupt es was getan oder gesagt hat.

 

 

     
     

Kulturalistischer Rassismus

Der kulturalistische oder differenzialistische Rassismus entstand in den gesellschaftlichen Auseinandersetzungen um Einwanderung und den Umgang mit den Eingewanderten. In der Bundesrepublik Deutschland fanden diese Debatten im Laufe der achtziger Jahre statt.

Vorherrschendes Thema des kulturalistischen Rassismus ist nicht die biologische Vererbung, sondern eine angeblich tiefgreifende und unaufhebbare Differenz zwischen den Kulturen. Menschen, die anderer Herkunft sind, als die Mehrheit angehören, werden als grundsätzlich nicht-zugehörig klassifiziert. Der Kulturalistische Rassismus erklärt abweichende kulturelle oder ethnische Herkunft zu einem „nicht zu entfernenden Fleck“ (Taguieff, 1991, 245). Kultur wird behandelt, als sei sie erblich, wie die Haar- oder Hautfarbe.

 

Ein breites Spektrum politischer Positionen bezieht sich auf die so definierten Begriffe Herkunft und Kultur. Während die einen von kultureller Vielfalt und multikultureller Gesellschaft sprechen, warnen die anderen vor drohender Überfremdung, dem Überschreiten von Toleranzschwellen und der Verwischung natürlicher kultureller Grenzen gesprochen. Daraus entstünden zwangsläufig Konflikten zwischen den unterschiedlichen Kulturen.

 

Das Beispiel der diversen Kopftuch-Debatten macht deutlich, worum es geht: Um die Bedeutung kollektiver kultureller und nationaler Identitäten, um Einheitlichkeit, Werte und individuelle Selbstbestimmung. 

Kulturelle Differenz

In diesen Diskussionen um kulturelle Differenz werden verschiedene Kategorien von Ausländern unterschieden. Je weniger Ausländer sich nach Außen hin vom Deutsch-Sein, das in diesem Prozess immer mit definiert wurde, unterscheiden, desto ‚kulturell‘ näherstehender und unproblematischer erscheinen sie. 

Nordeuropäer und Staatsangehörige anderer westlicher Länder wird zugeschrieben, eine geringe kulturelle Differenz aufzuweisen, sie gelten als nützlich für den Standort Deutschland. Bei anderen Europäer gilt: Je südlicher und je östlicher die Herkunftsregion, desto größer angeblich die kulturelle Differenz. Und umso problematischer scheint ihre Anwesenheit.

Zwischen den tolerierbaren und den unerwünschten Ausländern wurde in den siebziger und achtziger Jahren eine Grenze gezogen. 

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Die Grenzziehung wurde und wird stets am Beispiel "der Türken" diskutiert. Mit ihrer kulturellen Herkunft, wird immer wieder behauptet, wiesen sie eine zu große Differenz zur deutschen Kultur und Gesellschaft auf. Deshalb verursachten sie bei der deutschen Bevölkerung Ängste und daraus entstünden zwangsläufig "Kulturkonflikte". Aufgrund ihrer kulturellen Identität seien sie nicht anpassungsfähig genug, um sich spurlos in die bundesdeutsche Gesellschaft einzufügen.

Menschen, die aus nicht-europäischen, nicht-westlich Regionen dieser Welt kommen, unterstellt man grundsätzlich, primitiven, archaischen und rückschrittlichen Kulturen zu entstammen. Als Asylsuchende oder Bürgerkriegsflüchtlinge gelten sie nicht nur als unnötige wirtschaftliche Belastung für das deutsche Gemeinwesen. Öffentlich wird ihre Anwesenheit als Risiko für die bestehende Ordnung und die innere Sicherheit dargestellt.

Bewertung "kultureller" Zugehörigkeit

Die Kategorien, Zuschreibungen und Bewertungen des kulturalistischen Rassismus legitimieren die Unterscheidung verschiedener Menschenkategorien und deren faktische juristische und soziale Ungleichbehandlung. 

Die möglichst rigide Ausgrenzung von "zu fremden" Menschenkategorien erscheint notwendig. Anderen, die angeblich eine geringe "kulturelle Differenz" aufweisen, die nachweislich nicht auffallen und nützlich erscheinen, können auf lange Sicht mehr Rechte eingeräumt werden.

Die kulturalistischen Kategorien, Zuschreibungen und Bewertungen lassen die in der sozialen Realität bereits bestehende Hierarchisierung verschiedener Menschenkategorien richtig erscheinen. So entsteht eine abgestufte Rangfolge von Menschenkategorien: Von "deutsch" über "europäisch" bis "nicht-europäisch" oder gar "nicht-westlich". Basierend auf dem Unterscheidungskriterium "Kultur" und gemessen an der angeblichen Differenz zur eigenen Kultur.

 

Wie in allen Formen von Rassismus wird die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Kategorie (in diesem Fall nicht "Rassen", sondern "Kulturen" genannt) als erblich, angeboren und unveränderlich betrachtet. Und auch sonst weist der kulturalistische Rassismus alle Kriterien auf, die eine rassistische Ideologie kennzeichnen: 

 

Die Menschheit wird unwiderruflich in unveränderliche und als erblich geltende Kategorien (Kulturen) unterteilt, diesen Kategorien werden charakteristische Eigenschaften (fortschrittlich, archaisch) und Erkennungsmerkmale (Haut- und Haarfarbe, Kleidung, Sprache) zugeschrieben, die so entstandenen Kategorien werden unterschiedlich bewertet (Maßstab ist die angebliche kulturelle Differenz), eine Hierarchie der Kategorien entsteht. So kann mit Menschen ganz verschieden, aber eben entsprechend ihrer Kategoriezugehörigkeit verfahren werden.

 

 

     
     

Rassistische Gewalt

 

Hoyerswerda, Rostock, Mölln, Solingen

 

In den neunziger Jahren trug der kulturalistische Rassismus dazu bei, dass ein Großteil der ost- und westdeutschen Bevölkerung die Ursachen der von ihnen erlebten tiefgreifenden Veränderung ihrer Lebensverhältnisse verkannte.

 

Nach dem Beitritt der neu geschaffenen ostdeutschen Bundesländer wurde die gesamte wirtschaftliche und soziale Infrastruktur dort in kürzester Frist zerschlagen. Mit dem alten gesellschaftlichen System gingen auch die gewohnten Sicherheiten verloren. In Westdeutschland verursachte die fortschreitende Deregulierung und Entgarantierung der Arbeitsverhältnisse, der weitere Abbau von Arbeitsplätzen und sozialen Sicherungssystemen und zunehmende Steuerbelastung der kleinen und mittleren Einkommen Existenzängste. Wut und Enttäuschung richteten sich gegen die vermeintlichen Verursacher der Probleme.

 

Gegen jene, deren Anwesenheit von der etablierten Politik immer wieder als untragbare Belastung für das deutsche Gemeinwesen und als Bedrohung für dessen sozialen Zusammenhalt dargestellt worden war. Vor allem  Türken und Asylbewerber wurden für die Verunsicherung und die verschlechterten Lebensbedingungen in einer neoliberal umstrukturierten Gesellschaft verantwortlich gemacht.

 

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Die Bilder von rassistisch motivierten Gewalttaten, von Morden und Pogromen wurden in der nationalen und internationalen Öffentlichkeit verbreitet. Schließlich wiesen vor allem Wirtschaftsvertreter, Unternehmerverbände und wirtschaftsliberale Politiker darauf hin, dass diese Gewalttaten dem Image des Standorts Deutschland schadeten.

 

Eine breite politische Mehrheit fand sich zusammen, um in dieser Situation Entschlossenheit und Handlungsfähigkeit zu demonstrieren. Mit Erfolg: Das Asylrecht wurde grundlegend eingeschränkt und das Thema rechte Gewalt verschwand von der politischen und medialen Tagesordnung. Rassistische Gewalttaten finden weiterhin statt, sie erregen nur keine große Aufmerksamkeit mehr.

 

 

     
     

Literatur

 

Balibar, Etienne/Immanuel Wallerstein, 1990, Rasse Klasse Nation. Ambivalente Identi­täten, Hamburg/Berlin

 

Balibar, Etienne, 1993, Die Grenzen der Demokratie, Hamburg

 

Guillaumin, Colette, 1992, Zur Bedeutung des Begriffs ‚Rasse’, in: Rassismus und Migration in Europa. Beiträge des Hamburger Kongresses ‚Migration und Rassismus in Europa’ (1990), Hamburg/Berlin

 

Hall, Stuart, 1989, Ausgewählte Schriften, Hamburg/Berlin

 

Kalpaka, Annita/Nora Räthzel, 1990, Wirkungsweisen von Rassismus und Ethnozentrismus, in: Die Schwierigkeit, nicht rassistisch zu sein, Hg. Kalpaka/Räthzel, 2. völlig überarbeitete Auflage, Leer

 

Kiefer, Annegret, 1991, Das Problem einer „jüdischen Rasse“. Eine Diskussion zwischen Wissenschaft und Ideologie (1870 – 1930), Frankfurt am Main/Bern/New York/Paris

 

Miles, Robert, 1991, Rassismus. Einführung in die Geschichte und Theorie eines Begriffs, Hamburg

 

Morgenstern, Christine, 2001, Rassismus Macht Fremde. Begriffsklärung und Gegenstrategien. Mit Texten von Annita Kalpaka und Ursula Lischke, Hg. IDA e.V., Düsseldorf

 

Morgenstern, Christine, 2002, Rassismus – Konturen einer Ideologie. Einwanderung im politischen Diskurs der Bundesrepublik Deutschland, Hamburg

 

Poliakov, Léon/Christian Delacampagne/Patrik Girard, 1992, Rassismus – Über Fremdenfeindlichkeit und Rassenwahn, Hamburg/Zürich

 

Silverman, Maxim, 1994, Rassismus und Nation. Einwanderung und Krise des Nationalstaats in Frankreich, Hamburg/ Berlin

 

Taguieff, Pierre-André, 1991, Die Metamorphose des Rassismus und die Krise des Antirassismus, in: Das Eigene und das Fremde – neuer Rassismus in der Alten Welt?, Hg. Uli Bielefeld, Hamburg

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Morgenstern, 2001:

 

Rassismus Macht Fremde

Begriffsklärung und Gegenstrategien

Reader für MultiplikatorInnen in der 
Jugend- und Bildungsarbeit.

 

 Inhaltsverzeichnis

 

Entwickelt und zusammengestellt von 
Christine Morgenstern. Mit Texten von Annita Kalpaka und Ursula Lischke. 

 

Herausgegeben vom Informations- und Dokumentationszentrum für Antirassismusarbeit e.V.

 

 

 

 

Morgenstern, 2002:  

Rassismus - Konturen einer Ideologie

Einwanderung im politischen Diskurs
der Bundesrepublik Deutschland
 

 

 Inhaltsverzeichnis

 

Argument Sonderband
Neue Folge 292

Argument Verlag